Gespräche

Hier möchte ich Euch von den Begegnungen mit Menschen erzählen, die ich beim Steinepolieren treffe. Es wird sich nicht um eine Wort-für-Wort-Wiedergabe von Gesprächen handeln, dafür ist mein Gedächtnis nicht gut genug. Aber ich versuche, das Wichtigste zu erfassen.

 

 


22.3.2021

Als ich die Steine in dieser schmalen Gasse endlich gefunden hatte, freute ich mich, begrüsste Klara und ihre Töchter und machte mich an die Arbeit. Schon nach kurzer Zeit hörte ich ein Auto anfahren und war kurz davon überzeugt, dass nun doch jemand die Polizei gerufen hatte wegen meiner Schleicherei vor dem Haus. Ich drehte mich zu dem Auto um, der Fahrer hatte mich gesehen und nickte abschätzend.

Ich grüsste Ihn, als er ausstieg. Ich grüsse immer, denn was ich tue ist keine Geheimaktion, ich möchte mich nicht verstecken oder Menschen, die vor Ort wohnen, verunsichern.

Der Mann, vielleicht 30, in Handwerkerkleidung, grüsste zurück. Ich werde ihn hier Robert nennen, für mich passt das. Robert kam zu mir und fragte, was ich denn angestellt hätte, dass ich hier putzen musste.

Bis dahin war mir noch nie in den Sinn gekommen, dass Menschen denken könnten, ich müsste die Stolpersteine vielleicht wegen gerichtlicher Auflagen putzen. Meine Empfindungen meanderten zwischen leichter Empörung und Belustigung.

"Ich habe nichts ausgefressen, ich mache das freiwillig", sagte ich also.

Erstaunt fragte Robert, was das denn für Steine seien.

"Stolpersteine"

" Jahaha, stolpern", lachte er.

Ich erklärte ihm die Stolpersteine und Robert wurde neugierig. Fragte, wie viele es hier in der Stadt gäbe, wer sie verlegt hätte und was das in diesem Haus für Menschen gewesen sind.

"Eine Mutter mit ihren zwei Töchtern, sie hatten die falsche* Religion. Was für eine Religion hast Du?"

"katholisch", sagte Robert.

"Na dann würdest Du wohl Glück haben, es sei denn, Du hörtest die falschen Radiosender, wärst rebellisch oder sonst wie auffällig. Kleinigkeiten reichten da aus um dich wegzuschaffen"

"Und die hat man dann weggebracht?

"Die Töchter nach Piaski, die Mutter nach Theresienstadt. Und dann ermordet."

Robert wirkte nachdenklich, fragte, ob er mir einen Kaffee bringen könne. Eine freundliche Geste, die irgendwie hilflos wirkte.

Das Gespräch war bei aller Ernsthaftigkeit auch von einer Leichtigkeit, die ich mir öfter wünschen würde. Das Bewusstsein, dass zu jedem Stolperstein ein Mensch aus unserer Mitte gehörte, der verschwunden ist, scheint für manche Menschen eine zu grosse Last zu sein, um darüber reden zu können. Robert war aber einfach neugierig, er stellte Fragen und Nachfragen. Es war eine gute Begegnung, es schien, als hätte ich jemanden erreicht.

Robert kannte die Stolpersteine nicht. Aber jetzt. Und das ist gut.

 

 

(*ich hoffe, die Benutzung des Adjektivs "falsch" wird hier richtig verstanden. An keiner Religion ist irgendetwas falsch, es ging mir darum, klar zu formulieren, dass die Zugehörigkeit zu bestimmten Religionsgemeinschaften eine Gefahr für das Leben sein konnte. Und leider auch immer noch ist.)

 

 

 


22.3.2021

1.

Eine Frau tritt aus dem Haus.

Ich grüsse sie.

Sie grüsst zurück, geht weiter.

Dreht sich zu mir um, " Danke. Fürs Kümmern"

2.

Ein Mann verlässt das Haus.

Ich grüsse, bitte ihn, vorsichtig zu sein wegen des nassen Gehwegs. Er erwidert, dass er aufpassen wird.

"Wissen Sie, es ist gut, dass Sie das machen, aber die Leute gehen drüber, sie sehen die Steine nicht."

"Ich putze sie, damit die Leute sie besser sehen und vielleicht nicht mehr drübergehen."

"Sehen Sie, ich bringe immer meinen Müll raus und fahre mit der Tonne über die Steine. Ich finde es nicht gut, dass die Steine am Boden liegen, sie sollten besser in der Hauswand sein"

"Bei der alten Zuckerfabrik wurden die Häuser abgerissen, da gibt es jetzt nur noch die Steine am Boden. Es ist nicht perfekt, das wird es nie."

"Ja, es ist nicht perfekt. Aber kennen Sie das grosse Denkmal im Park? So sollte das sein, das wäre besser. Wenn man lange hier wohnt, sieht man die Steine nicht mehr".

Dann ist der Mann nach einer Verabschiedung weitergegangen.

Ich finde seine Gedanken nachvollziehbar und auch ich frage mich manchmal, ob es richtig ist, Namen von Menschen in den Boden zu setzen, so dass Leute quasi auf sie treten. Ich kann das nicht mit ja oder nein beantworten, aber ich denke: Hätten wir die Steine gar nicht, wären die Namen und die Menschen dazu einfach in irgendwelchen Archiven verwahrt. Dort würde man sie nur finden, wenn man gezielt nach ihnen sucht. Und die Grösse eines Mahn- oder Denkmals schützt es nicht, dass Leute darauf herumtreten: das Denkmal "misrach" in meiner Stadt ist ein sehr beliebtes Sitzmöbel.